In der Verhandlung wegen einer Blockadeaktion gegen die rechten „Gelbwesten“ Anfang 2019, die uns als Versammlungssprengung vorgeworfen wurde haben wir folgendes heute erreicht:
– gegen eine Angeklagte wurde die Geldstrafe gegenüber dem Strafbefehel verringert & mit einer schon bestehenden zu einer Gesamtstrafe zusammengelegt, sodass eine Eintrag im Führungszeugnis vermieden wurde.
– das Verfahren gegen einen Angeklagten wurde eingestellt (gegen gemeinnützige Geldzahlung).
Wie schon am letzten Verhandlungstag im Juli gegen einen weiteren Mitangeklagten (Geldstrafe blieb bei Höhe aus Strafbefehl), blieb die Richterin inhaltlich unnachgiebig bei ihrer Hardliner-Auffassung, die auch friedliche Blockadeaktionen als „grobe Störung oder Gewaltandrohung zur Vereitelung der Durchführung einer Versammlung“ wertet. Dem entgegenstehend verlangt die Rechtssprechung des BVerfG nach einer Differenzierung zwischen eher symbolischen, demonstrativen Blockaden (die ebenfalls unter dem Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit stehen) und solchen, die nur dazu dienen etwas physisch durchzusetzen (z.B. die Nicht-Durchführung einer Versammlung). Es sind zahlreiche Leute erschienen, um uns solidarisch zu begleiten. Das hat sicher dazu beigetragen, dass sich die Stimmung im Gericht nicht gänzlich gegen uns wendete, auch trotz dem Umstand, dass gut die Hälfte den Saal nach kurzer Zeit wieder verlassen musste, da aktuell die Zuschauer*innen-Zahlen wegen der Covid19-Situation begrenzt werden und wir Angeklagten uns keine weitere Verschiebung bzw. Vertagung der Verhandlung gewünscht hatten. An dieser Stelle noch einmal ein großer Dank an alle, die zur Unterstützung gekommen sind.
Einlassung einer Angeklagten
zum Prozess wegen Blockadeaktion gegen die „Gelbwesten“ in Wiesbaden
Als erstes möchte ich etwas klarstellen:
Selbstverständlich ist mir bewusst, dass ein Gericht den „Gelbwesten“ ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit garatieren muss. Ihre Versammlungsfreiheit steht unter dem Schutz des Grundgesetz, was auch bedeutet, dass die Polizei diese Versammlungsfreiheit gegen Dritte schützen und durchsetzen muss.
Ich stelle das nicht in Frage. Das ist nicht der Grund für meinen Einspruch gegen den Strafbefehl. Und es war übrigens auch nicht der Grund weshalb ich mich an der fraglichen Aktion beteiligt hatte. Auch wenn vielleicht dem Gericht der Eindruck entstanden ist, es müsste auch deshalb Strafen verhängen, bloß um uns an diese einfachsten Grundlagen des Versammlungsrechts zu erinnern.
Ich möchte den Fokus hingegen wieder darauf legen, dass wir Angeklagten ebenfalls an einer Versammlung teilgenommen haben, die den Schutz der Versammlungsfreiheit genießt. Aber diese Teilnahme alleine soll schon den Tatbestand der Versammlungssprengung erfüllen und damit strafbar sein.
Versammlungssprengung wird neben der Absicht die andere Versammlung zu verhindern so definiert, dass Gewalttätigkeiten begangen, angedroht oder grobe Störungen verursacht werden.
Also das Erste: Zu keinem Zeitpunkt ist irgendjemand davon ausgegangen, dass unsere Gegendemonstration unfriedlich gewesen sein soll. Es hat von uns niemand irgendeine Gewalttätigkeit begangen.
Und ein für radikale Linke typischer Kleidungsstil kann zwar ein Hinweis auf die politische Ausrichtung einer Demonstration sein, aber das alleine kann nicht als Androhung von Gewalttätigkeiten gewertet werden.
Ich habe mir selbst den Livestream von Henryk Stöckl noch etliche Male angeschaut. Der ist auf YouTube noch öffentlich verfügbar, von der Userin Inge Steinmetz hochgeladen. Nirgends wird eine Drohung mit Gewalt auch nur angedeutet, keine drohenden Gesten, keine Äußerungen von Aggression.
Das einzige was bleibt, was es in den Ermittlungsbericht und den Strafbefehl geschafft hat, ist dass unser Einhaken bzw. an den Hände halten als Menschenkette der anderen Seite signalisieren würde, dass es für sie „kein Durchkommen“ gebe. Dieses „Signalisieren“, wie so schön formuliert wurde, ist aber genau Teil der inhaltlichen Kommunikation, die wir als Demonstration in die Öffentlichkeit tragen wollten.
Wie wenig tatsächlich bedrohlich daran war, ist auch daran zu erkennen, dass die Menschenkette zwar tatsächlich aufschloss, als einige Teilnahmer*innen der Gelbwesten vorbei wollten, aber -und ab hier wird das im Ermittlungsbericht einfach verschwiegen- dann unbehelligt an den Gegendemonstrant*innen vorbeigehen konnten, weniger als eine Armlänge entfernt.
Es wurden -von niemandem, zu keinem Zeitpunkt in den eineinhalb Stunden- auch nur irgendwelche Anstalten gemacht, die Symbolik unserer Protestform auch tatsächlich in eine körperliche Barriere umzusetzen und damit eine Blockade physisch durchzusetzen.
Von Gewaltandrohungen kann also keine Rede sein, also bleibt nur noch die grobe Störung. Worin soll die denn nun liegen?
Gemessen an dem, was bei Gegendemonstrationen zu erwarten ist, war der gesamte Verlauf beider Versammlungen ziemlich störungsfrei. Mehr als verbale Außeinandersetzungen gab es während der Versammlungen nicht – auch nicht bei aufgeheizter Stimmung und geringer Polizeistärke. Ja, manche von uns, so auch ich waren vermummt, aber kann das alleine die gegenerische Versammlung in ihrer Durchführung stören? Die Vermummung wurde auch nicht genutzt um unerkannt irgendwelche Störungen durchzuführen.
Ich persönlich kann sagen, dass ich mich einfach deshalb vermummt habe, weil ich nicht vor tausenden rechtsradikalen Zuschauer*innen mit meinem Gesicht groß herangezoomt im Livestream von Henryk Stöckl zu erkennen sein wollte. Es mag sein, dass ich mich hier strafbar gemacht haben könnte. Aber das hängt nicht mit dem Vorwurf der Versammlungssprengung zusammen.
Wodurch wurde also die Gelbwesten-Demo angeblich grob gestört? …höchstens durch die räumlich kollidierende Anwesenheit unserer Gegendemo selbst. Anders kann der Vorwurf der Staatsanwaltschaft nicht zu verstehen sein.
Dass die Gelbwesten-Demo eineinhalb Stunden warten musste, stellte für sie natürlich ein Hindernis dar. Aber die eineinhalb Stunden kamen keineswegs zustande, weil wir der Räumungsaufforderung nicht nachgekommen wären. Die Aufforderungen erfolgten ja erst ganz zum Ende dieses Zeitraums und wir sind ihnen zeitnah nachgekommen, ohne dass Zwangsmittel eingesetzt wurden. Die uns unterstellte grobe Störung hängt also einzig an unserer Teilnahme an der Gegendemo.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genießt aber so eine blockierende Gegendemo ebenfalls den Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit, so lange die Blockade „nicht Selbstzweck, sondern ein dem Kommunikationsanliegen untergeordnetes Mittel zur symbolischen Unterstützung ihres Protests und damit zur Verstärkung der kommunikativen Wirkung in der Öffentlichkeit“ ist.
Nach dieser Differenzierung war unser Gegenprotest rechtlich eine „passive Blockade“ und nicht eine, die eine Verhinderung der gegnerischen Versammlung bewirken konnte oder bezwecken sollte.
Solche Blockadesituationen sind Alltag bei Gegendemonstrationen und werden üblicherweise ohne Störungen und ohne anschließende Gerichtsverfahren aufgelöst.
Der einzige Grund, den ich sehe, warum es an diesem Tag anders war, ist der, dass die Polizeikräfte nicht davon ausgegangen sind, dass es Gegendemonstrant*innen geben würde und sich für den Fall, dass Zwangsmittel benötigt würden, nicht ausreichend aufgestellt sahen. Um diese -wie sich herausstellte- Fehleinschätzung zu begründen, wurde im Ermittlungsbericht darauf eingegangen, dass die Wiesbadener „Gelbwesten“ ja nicht als rechtsradikal einzuordnen seien. Hier beißt sich dann irgendwie die Katze in den Schwanz. Unser Gegenprotest hatte ja gerade den Zweck diesen verharmlosenden Eindruck möglichst frühzeitig in der Öffentlichkeit zu korrigieren, bevor sich eine weitere rechte Straßenbewegung manifestieren kann und medial mit Verharmlosung und Akzeptanz bedacht wird. Wie schnell sich die Dynamiken solcher diffus-rechter Bewegungen bedrohlich entwickeln, sehen wir ja auch aktuell wieder sehr deutlich in Deutschland. Insofern war die von uns gewählte Form des Protestes selbstverständlich der kommunikativen Wirkung in der Öffentlichkeit geschuldet – keineswegs Selbstzweck oder eine illegale Selbsthilfeaktion. Für diese gewählte Form des Protests, die natürlich von dem inhaltlichen Anliegen nicht getrennt werden kann, sollen wir nun kriminalisiert werden, einzig weil -so hat es zumindest den Anschein- die Verantwortlichen bei der Polizei eine unserer inhaltlichen Einschätzung entgegengesetzte Auffassung von der „Gelbwesten“ Szene hatten.
Aber das Grundgesetz schützt auch die Freiheit selbst über die die Form eines Protests zu entscheiden, nicht nur über die Inhalte.
Ich sehe hier auf ganzer Linie eine politisch tendenziöse Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Ich halte das für gefährlich. Und für mich reiht sich das ein in einen allgemeinen Trend der Ausweitung strafrechtlicher Tatbestände für Demonstrierende. Im Ergebnis führt das zu einer stetig zunehmenden Kriminalisierung linker Protestformen.
Genau wegen dieser Sorgen konnte ich den Strafbefehl im Punkt der Versammlungssprengung nicht einfach hinnehmen.
Eins kann doch nicht sein: Wir, weiße, nichtjüdische Mehrheitsdeutsche, denken wohlig und mit beruhigtem Gewissen daran, wie gestern noch die bunten Normalos von Politik und Öffentlichkeit gefeiert wurden, weil sie mit einer friedlichen Blockade ein Zeichen gegen Neonazis setzten wie von der Partei „Die Rechte“; aber wenn tatbestandsmäßig genau das selbe gemacht wird, bloß nun von Leuten, die einem vielleicht zu links sind, die vielleicht nicht ganz so bunt angezogen sind und deren Gegner man nicht so trennscharf als sogenannte „Extremisten“ eingeordnet bekommt, dann soll das auf einmal unter Straftatbestände fallen? Dabei ist es gerade auch die etwas diffuser rechtsradikale, äußerlich oft unaufällige, von Verschwörungsdenken geprägte Mischszene, die -scheinbar zusammenhangslos immer neuen Anlässen suchend- es schafft, völkischen statt demokratische Ideen wirklich breit zu propagieren und zu normalisieren, damit einhergehend dann auch antisemitische Denkmuster und ein Aufgehen im nationalen Kollektiv.
Deshalb möchte ich gegen Ende noch kurz auf die strittige Einschätzung der Wiesbadener Gelbwesten bzw. „WirSindVielMehr“ aus unserer Sicht eingehen. Grundsätzlich friedlich und harmlos ist das ganze nämlich kaum. Dies ist bloß eine -leider erfolgreiche- Selbstinszenzierung. In Wiesbaden wurden Gegendemonstrierende an diesem ersten Demotag noch bei der Abreise im Bahnhof von Gelbwesten-Teilnehmern bedrängt und bedroht. Einige Zeit darauf wurde meine eigene damalige Wohnung von der Szene um die Wiesbadener Gelbwesten ausgespäht. Immer wieder wurden bei den sich wiederholenden Demonstrationen Gegner*innen der Gelbwesten durch den Livestreamer einzeln herangezoomt, dem Online-Publikum genüsslich zum „merkt euch die Gesichter“ vorgeworfen, entsprechende Ausschnitte teils von Dritten auf Youtube mit explizit ausgebreiteten Gewaltfantasien äußerst brutaler und sexistischer Art zusammengeschnitten.
Weil für uns keiner dieser Vorfälle besonders unerwartet kam, nur aus diesem Grund haben sich manche von uns in dieser Menschenkette vermummt, eben auch ich. Ich muss mich selbst zu einer Gruppe zählen, wo ich von Rechten nicht nur deshalb bedroht bin, weil ich mich aktiv entscheide ihnen als Gegenerin entgegenzutreten. Aber ich mache mir auch keine Illusionen und ich erwarte nicht, dass mich das bestehende Strafrecht deswegen vom Vermummungsverbot ausgenimmt.
Ich lege es ja nicht darauf an einen Prozess politisch zu führen. Was diesen Prozess erst politisch gemacht hat, ist dass die Abwägung kollidierender Versammlungsrechte zu einer Frage des subjektiv sympathischeren Eindrucks gemacht wurde und die harmlose Selbstinszenzierung der Gelbwesten unkritisch als Tatsache übernommen wurde.
Und diese so harmlose und nicht-rechtsradikale Einschätzung der Gelbwesten, wie sie sich noch in den Ermittlungsberichten und den ersten Presseartikeln findet, hatte sich im weiteren Verlauf dann ja auch stark relativiert. In der Presseöffentlichkeit wurden antifaschistische Rechercheergebnisse breit aufgegriffen und Vernetzungen kritisch eingeordent. Auch ein Journalist, der unsere Blockadeaktion entschieden ablehnt, kam nach einigen Monaten und dem Verlauf der folgenden Demonstrationen nicht um die offensichtliche Tatsache herum, dass die Wiesbadener Gelbwesten von Rechtsradikalen dominiert wurden und schrieb, dass Experten sie als „Türöffner nach rechts“ analysieren.
Insofern hat unser frühzeitiges kommunikative Wirken in der Öffentlichkeit ja auch seinen Zweck erfüllt.
Dass dies von der Straße ausgehen musste und nicht alleine von irgendwelchen Infoveranstaltungen und Artikeln für das linke und linksliberale Milieu, das ergibt sich für mich auch nicht zuletzt aus der Symbolik der Warnwesten selbst. Deren Bedeutung, die ganze Ausrichtung der Gilet Jaunes in Frankreich war selbst von Anfang an Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen.
Die Festlegung darauf, dass es sich um eine soziale Massenbewegung im Bündnis mit den Gewerkschaften und der radikalen Linken handeln sollte und nicht um eine nationalistische, verschwörungspopulistische, womöglich auch rassistische Massenbewegung, das erfolgte erst und einzig auf der Straße selbst: Indem antifaschistische Gilet Jaunes letzteren Fraktionen klare Grenzen aufgezeigt und gesetzt hatten.
Genau von dieser letzteren Fraktion fühlte sich aber die hießige verschwörungspopulistische und diffus rechtsradikale Szene inspiriert, sodass sie als der deutsche Ableger der Gilet Jaunes verstehen gesehen werden wollten, als die Gelbwesten.
Um nun der Öffentlichkeit zu signalisieren, dass dieser Anspruch völlig verfehlt ist, war die Form unserer Gegendemonstration einfach inhaltlich die angemessenste und im gesellschaftlichen Kontext die passendste. Und zwar, weil die Gilet Jaunes im Gegensatz zu den deutschen, rechten Gelbwesten nie dafür bekannt waren, dass die Polizei für sie Blockaden räumte. Stattdessen waren sie immer selbst die Blockierenden von Straßen und Plätzen, die sich sämtlichen Zwangsmittel des Staates aussetzen mussten – mit allen harten und oft brutalen Konsequenzen, und zwar nicht etwa im Kampf für rechte Verschwörungsmythen und nationales Kollektiv, sondern für reale, soziale Interessen, schlicht Klasseninteressen.
Mein Fazit zu den Vorwürfen wegen des Demonstrationsgeschehens ist:
Den Gelbwesten haben wir weder ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit abgesprochen, noch dessen Ausübung vereitelt. Die uns als Versammlungssprengung vorgeworfenen Handlungen sind eine legitime Protestform, mit der auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden sollte. Unsere Gegendemonstration fällt selbst unter den Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Den kollidierenden Ansprüchen beider Seiten auf dieses Grundrecht rechtsstaatlich Genüge zu tun, kann nach meiner Auffassung nicht heißen, die bloße Versammlungsteilnahme der einen Seite schon als Straftat zu kriminalisieren.
Mir wird zusätzlich vorgeworfen, mich auf der Gegendemonstration vermummt zu haben. Dazu merke ich an, dass ich damit meine Indentität vor dem Internet-Publikum der Gelbwesten und Henryk Stöckls verbergen wollte und nie beabsichtigt, hatte eine Identifizierung durch die Polizei zu vereiteln.